Sprecherin: Isabel Maria Groll


Goldene Tiere

Wer von uns hat nicht in phantasiefroher Kinderzeit einmal gebebt unter den Schauern der Sage vom Argonautenzug!
Wie Jason mit seinem Heldenschiff gen Kolchis fährt, um das goldene Widderfell zu holen, das von einem Drachen bewacht an einer Eiche im Areshain hängt …
Kolchis ist die Kaukasusecke des Schwarzen Meeres, damals für einen Griechen ein so fernes Sagenland wie uns Europäern von heute etwa das Innere von Neuguinea. Die Argonautenfabel ist wilder und menschlich kleiner als Ilias und Odyssee, denen man, aller Homerkritik zum Trotz, eben doch auf Schritt und Tritt die läuternde Hand einer ganz großen Dichterpersönlichkeit anmerkt, während dort nur noch die rohe Mythe zu uns spricht. Aber um so packender für die Jugend schlägt die reine Abenteuerlichkeit der Handlung durch. Und dabei ist auch hier charakteristisch, wie die Sage mit naiven Effekten das Stärkste erreicht.

Ein Häuflein Gold in der Größe und Dicke eines Widdervlieses ist gewiss noch kein besonders großer Schatz. Aber das Aparte, das Verblüffende ist, daß ein lebendiges Säugetier Gold am Leibe getragen haben soll. Dieses Tierfell lohnte schon die verwegenste Heldenarbeit!

Zugleich aber fehlt auch der Zug nicht, daß in allem bunten Märchenspuk die dunkle Kunde von einer nüchtern realen Sache gleichsam das Gebein zu bilden pflegt. Wo immer wir heute naturgeschichtliche oder historisch-geographische Forschung an diese Griechenlegenden wenden, kommen solche Wirklichkeitsgebeine zutage, ohne daß der Duft der Sage sich deshalb zu verlieren brauchte. An dem Fleck des alten Labyrinths auf Kreta, wo der Stiermensch Minotaurus gewütet haben sollte, ist vor kurzem die Stätte alter Kampfspiele der mykenischen Kulturepoche ausgegraben worden; zoologisch bestimmbare Knochen beweisen, daß der heute ausgestorbene riesige Urstier dort noch vorgeführt wurde, und ein Wandgemälde aus der Zeit verewigt noch solchen gefährlichen Stierkampf in anschaulichster Form.

Und so erfahren wir auch aus den späteren Quellen griechischer Wissenschaft selbst noch von einer althergebrachten Sitte der Kaukasusbewohner, daß sie zottige Schaffelle in ihre Bäche hingen, um die natürlichen Goldteilchen, die von den Wassern dieses metallreichen Gebirges geführt wurden, aufzufangen – eine nüchterne Praxis, den mancherlei Methoden unserer Arbeiter in Silberseifen und Goldwäschen damals schon durchaus ähnlich.

Was aber kein antiker Grieche wußte, ist die Tatsache, daß es wirklich auf unserer Erde Säugetiere gibt, die ein »goldenes Vlies« tragen. Freilich kein Vlies, aus dem man echte Goldstücke prägen kann.
Als das Leben sich seine zwölf bis zwanzig mineralischen Elemente aneignete, die teils notwendig, teils hilfsweise seine wunderbaren Zellenbauten zusammensetzen, war Gold nicht dabei. Wenn es sich ab und zu einmal in organischen Restbeständen auch von Lebewesen chemisch nachweisen läßt, in Austernschalen, Pflanzenholz und so weiter, so war es dort doch nur zufällig durch das Wasser eingeschleppt worden, das ja für jegliches Leben eine absolute Notwendigkeit ist, in dem aber vielfältig (zum Beispiel im Ozean durchweg) feinste Goldrestchen auf Grund selbsttätiger Goldwäsche der Natur herumschweben. Zu einer wirklichen Macht im Leben hat auch dieses schöne Element erst die menschliche Intelligenz gebracht: vom Zahlgold in der Hosentasche bis zur Goldplombe im hohlen Zahn!

Das tierische Goldvlies, das ich meine, ist dagegen ein Fell, das äußerlich im wundervollsten Goldglanz gleißt, als sei jedes Härchen einzeln in Schaumgold getaucht gleich einer Weihnachtsnuss.
Das erste wirklich dem Fachzoologen bekannt gewordene Tier, das ein ganz unzweideutiges goldenes Vlies wenigstens für den Anblick trägt, ist ein Geschöpf im tropischen Afrika, dessen Anblick aber für gewöhnlich einfach unmöglich gemacht ist, weil es nämlich nach der Art unseres Maulwurfs unter der Erde lebt.
Jedermann kennt unseren heimischen Wühler, den Maulwurf. Er selber hat schon ein recht hübsches, bläulich bereiftes Fellchen. Dieser Mull gehört, wie wir schon besprochen haben, systematisch weder zu den echten Raubtieren noch den Nagetieren, sondern zu jener uralten, heute nur spärlich noch fortlebenden Stammgruppe der höheren Säugetiere, die man die Insektenfresser zu nennen pflegt. Diese Insektenfresser haben aber in ihrer Entwicklung offenbar von früh an eine Neigung oder besser einen Zwang gehabt, gewisse Formen doppelt hervorzubringen. So haben sie den Typus des Igels zum Beispiel zweimal geschaffen, einmal als wirklichen Igel und dann noch einmal ganz unabhängig davon im Borstenigel der fernen Insel Madagaskar. Und entsprechend gibt es bei ihnen auch zweimal den Mull: das eine Mal in unserem echten und das zweite Mal (auch hier vollkommen unabhängig) in einem ebenfalls erdgrabenden Sprössling jener Borstenigel, den man den »Goldmull« getauft hat.

Dieser Goldmull lebt vom Kap bis zum Kongo, und zwar ebenso extrem unterirdisch, wenn auch meist nicht sehr tief. Auch ihm ist dabei der kleine fette Leib in richtiger Anpassung zur Walze oder Wurst geworden, die schon bald gar nicht mehr nach einem Säugetier ausschaut. Da gibt es keinen Schwanz mehr und keine Ohrmuscheln, ja für den äußeren Anblick fast keine Gliedmaßen mehr; nur die Hände stehen noch als starre krumme Haken vor, und auf dem Näschen sitzt eine kleine Schaufel in Gestalt eines Hornschildes; das alles dient ersichtlich der Technik des Sicheinbohrens und Vorwärtsdrängelns im trockenen Steppensande, in dem der passionierte Unterweltler auf die still verborgene Suche nach Würmern und Insektenlarven geht. Mögen in dieser afrikanischen Steppe so viel böse Räuber oben über ihn weglaufen wie wollen: er ist in seinen Sandstollen sicher, und was sich hier unten herumtreibt, dessen ist er selber Herr.

Nun aber die Verschwendung. Diesem ewigen Gast der Finsternis gerade hat die Natur den Argonautenzauber des Goldvlieses verliehen!
Jedes Härchen seines Maulwurfsfellchens ergleißt wirklich und wahrhaftig im schönsten Goldschein. Je nach der Lichtbrechung mischen sich in dieses Grundgold noch einzelne goldig angehauchte Farben, die dann gleich Edelsteinen aus der Goldfassung glühen, bald grün wie von Smaragden, bald ein unbeschreiblich schönes Violett gleich Amethysten. Wenn dieser wahre »Dorado«, wie die südamerikanischen Indianer einst ihren vergoldeten Sagenkönig nannten, bei uns lebte, so ist gewiß, dass er längst um seines Königsmantels willen vernichtet wäre, während ihn jetzt bloß ab und zu ein Kaffer seines Landes zum schmucken Tabaksbeutel verarbeitet.
Wozu aber der Glanz gerade in dieser Hütte – oder in diesem schmutzigen finsteren Bergwerk, muß man besser sagen?
Und der Fall wird um so seltsamer, als auch der zweite Träger eines goldenen Vlieses, den man unter den Säugetieren kennt, ein mindestens ebenso ausgesprochener mullhafter Erdgräber im Finstern ist.

Um ihn zu finden, muß man den dürren Sandboden diesmal der zentralaustralischen Wüste aufschaufeln. In ihm steckt und bohrt er genau so verborgen wie der Goldmull in der afrikanischen Steppe. Australien hat aber nie Borstenigel gehabt, die dort zu Mullen werden konnten. Der Hauptstamm seiner eigentümlichen Tierwelt gehört zu der wohl noch altertümlicheren Grunne der Beuteltiere, und folgerichtig ist also auch sein einheimisch seit alters zugehöriger Mull ein solches Beuteltier, ein »Beutelmull«. Im übrigen hat aber auch er die ganz entsprechenden Hackenhände und auf der Nase seine eigene Hornschaufel. Die Bergwerke dieses Beutelmulls liegen so versteckt in ihrer Wüste, das man erst in neuerer Zeit und nachdem Australien gerade auf  sonderbare Tiere schon reichlich abgesucht war, seiner zum ersten mal habhaft geworden ist.

Nun: auch dieser Beutelmull schimmert in Gold, wobei auch bei ihm das Fell bald mehr reines Gelbgold zeigt, bald mehr Silber oder irisierende Edelsteinfarbe. Abermals das goldene Vlies als Arbeitskleid eines Tunnelarbeiters!
Es ist ein ungemein fesselndes Problem, wie gerade diese lichtscheuesten Gesellen unter unserem Säugervolk an das im Lichte herrlichste Gewand gekommen sind.
Eine Reihe gebräuchlicher Erklärungen versagt hier vollkommen.
Es kann sich nicht um eine den Tieren nützliche Anpassungsfarbe handeln, also etwa um einen Schutz, wie ihn dem grünen Laubfrosch auf grünem Laube sein Grün gewährt. In der finsteren Sandröhre da unten wird der goldene Rock dem Mull weder als Jägerrock noch als Jagdwildverkleidung helfen können; um diesen Vorteil zu genießen, müßte er schon in künstlich tagheller Goldhöhle hausen, die es doch nicht gibt.

Gleichermaßen versagt aber die berühmte Darwinsche Deutung, daß gewisse gleißende Frachtfarben bei Tieren so herangezüchtet sein könnten, daß die Tiere selbst an der Pracht ihre Freude gehabt und bei der Liebeswahl von jeher die farbenprächtigsten Exemplare begünstigt hätten. Abgesehen davon, daß durch diese Methode immer nur eine schon vorhandene glänzende Farbe (also hier der Goldglanz) gesteigert, aber nicht erst die Farbe selbst geschaffen worden sein kann, ist dazu mindestens doch nötig, daß die verliebten und farbenfrohen Tiere sich sehen können.

Schon unser heimischer Maulwurf hat aber stark verkümmerte Augen, was bei seiner Finsterlingsart und Dreckwühlerei ja gut genug zu verstehen ist; nötigenfalls ans Licht gebracht, sieht er zwar noch, aber seine Hauptmittel im eigentlichen Jagdgebiet sind schon Tasten, Riechen und Hören.

Bei dem Goldmull aber zieht sich geradezu das Haarfell auch über die Augen fort, sie verharren also dauernd im Schlafzustande der fest geschlossenen Lider. Und erst recht beim Beutelmull liegt außer der Haut auch noch ein Muskel unmittelbar auf dem völlig verkümmerten Augenpünktchen, so daß hier auch nur vom schwächsten Erfassen eines Lichtscheins keine Rede mehr sein kann. Diese Nachtwächter haben eben einfach ihr Sehen abgeschafft – folgerichtig ist es aber auch nicht möglich, daß sie sich, mögen sie in ihrem Tartarus sonst so verliebt sein, wie sie wollen, auf »Gold« hin selber durch Liebeswahl heraufgezüchtet haben könnten.

So sehr das Goldvlies uns eine Hauptsache erscheint: es macht den Eindruck, als sei es nur eine indirekte Folge von etwas anderem. Haben die Fellhaare dieser Unterweltler irgendeine nützliche Struktur sonst sich angeeignet, die als Begleiterscheinung ohne eigenen Nutzzweck den Goldschein mit sich brachte, etwa im Sinne, wie unser Blut zufällig seine schöne rote Farbe hat? Oder frißt der Mull da unten irgend etwas, das ihm besonders gut bekommt, das aber sein Haar nebenbei irgendwie chemisch vergoldet, ohne daß diese Vergoldung selbst ihn weiter förderte oder störte?
Für den letzteren Fall könnte man wirklich nun auf allerlei verwegene Gedanken kommen.

Vom afrikanischen Goldmull wie vom australischen Beutelmull wird berichtet, daß sie als echte »Insektenfresser« besonders gern und massenhaft gewisse Schmetterlingsraupen und Engerlinge (Larven) von Bockkäfern ihrer Heimat verzehren. Speziell vom Goldmull des Kaplandes, der dort den Gärtnern genau so vertraut und, je nachdem, verhaßt wegen des Wühlens, erwünscht wegen des Insektenvertilgens ist wie bei uns der Maulwurf, hören wir, daß er hauptsächlich von Raupen lebt, und zwar besonders denen einer sogenannten Plusiaeule, die sich tagsüber an den Wurzelnihrer eignen Futterpflanze verkriechen.

Nun spielt aber bei Käfern und Schmetterlingen der Goldglanz selber wieder seine Rolle. Jeder weiß von »Goldkäfern«. Gewisse tropische Bockkäfer erscheinen wie in eine Goldlösung getaucht. Auf Schmetterlingspuppen schimmern die schönsten Goldflecken. Ausgespart aber jene Plusiaeulen, von denen ungefähr zwanzig Arten auch bei uns vorkommen, führen seit alters geradezu den Namen »Goldeulen«!

Die meist kleinen Schmetterlinge, die man »Eulen« nennt, wirken in ihren langen Sammlungsreihen durchweg sonst unscheinbar, ja langweilig, sofern man nicht auf die feinen Ornamente ihrer Deckflügel achtet. Plötzlich aber bei den Plusiaeulen wird das anders. In die schlichte Flügelzeichnung fließt plötzlich Gold ein in verschwenderischer Fülle. Nicht roh hinzugemischt, sondern sorgsam aufgenommen in den feinen Rhythmus der Ornamente. Bald färbt es rein in den Umriß eingewebt gewisse Bänder, die anderswo bloß in Sepiazeichnung den Flügel belebten, bald schwimmt es als Spiegel in Rundflecken, bald bildet es ganz eigene, schön gezackte Felder auf dem dunkeln Grunde von hoher stilistischer, jedes Künstlerauge entzückender Durchbildung. Sie sind ja auch sonst geheimer Zeichen und Wunder voll, diese Eulenflügel, sobald man genau hinsieht. Eine der bekanntesten Plusiaeulen führt den griechischen Buchstaben Gamma aufs deutlichste dort, daher ihr Name Gammaeule. Wo nun Gold hinzutrat, da schmiegte es sich ebenfalls durchaus diesem Arabeskenund Hieroglyphenspiel organisch ein.

Warum aber hat gerade solche Plusiaeule vor so viel anderen Gold zur Verfügung? Lebt sie von Pflanzenstoffen, die das chemisch begünstigen? Und könnten jene grabenden Säugetiere zu ihrem eigenen Schmuck unwillkürlich gelangt sein, weil sie gewohnheitsmäßig wieder solche Goldfabrikanten als Nahrung benutzen?
Die Erklärung hat etwas Verführerisches, nur muß man sich vor Augen halten, daß sie selber noch lange nicht alles erklärt, zum Beispiel noch ganz und gar nicht, wie es kommt, daß nun etwa bei solcher Plusiaeule der als Nahrung aufgenommene Stoff sich gerade in derartigen köstlichen Mustern und Ornamenten von hoher rhythmischer Stilisierung betätigt, während er beim Goldmull einfach das ganze Fell gleichmäßig vergoldet.

Hier mischen sich offenbar noch wieder besondere, vorläufig unbekannte Gesetzmäßigkeiten ein, die das einfache Wort »chemischer Einfluß« nicht erschöpft.
Sicher aber ist es eine Sache zu reichem Nachdenken, dieses »goldene Vlies«.