Sprecher: Sergej Lubic


Amadinens illuminierte Kinderstube

Aus unseren Kinderstuben pflegt uns fürs Leben eine kleine Gespensterei nachzufolgen, die unausrottbar fest bleibt. Im Märchen kommt es vor: das Kind geht durch den finstern Wald, da funkeln plötzlich aus der Dunkelheit ein paar rotglühende Augen. Alle dämonischen Schauer der Nacht vereinigen sich in diesem Zuge. Wölfe und Teufel haben solche Augen.
Später lernt man dann, daß allerhand Tieraugen wirklich so leuchten, gefährliche wie ganz harmlose; Katzen und Eulen sind das bekannteste Beispiel, aber der Schmetterlingssammler merkt mit Staunen, wie auch die Augen seiner Schwärmer, die abends so wild um Winde und Geißblatt gaukeln, aufglühen gleich kleinen brennenden Kohlen, und im Berliner Aquarium habe ich das unheimliche Phänomen in seltener Kraft an den großen Glotzern der dicken Ochsenfrösche beobachten können. Unheimlich bleibt es aber immer.
Wie oft habe ich von schönen und sehr gebildeten Lippen gehört, daß Katzenaugen sich wirklich selber ihr Licht dabei anstecken, daß sie irgendwie »phosphoreszieren«, wie die gangbare Meinung es den Johanniswürmchen oder den winzigen Erzeugern des herrlichen Meerleuchtens zuschreibt.
Von solchen Leuchtkäfern und Leuchtinfusorien weiß man zwar heute, daß auch ihr nächtlicher Glanz mit wirklichem Phosphorschein. Nichts zu tun hat, sondern auf gewissen Stoffwechselprodukten dieser Lebewesen beruht, die bei ihrer Verbindung mit Sauerstoff Licht hervorbringen. Aber es bleibt hier doch wirklich bei »Eigenlicht«, und warum sollte also das Katzenauge nicht eine ähnliche Kraft bewähren?

Und wenn wir von gewissen leuchtenden Fischen, die es in der ewig dunkeln Tiefsee gibt, gar hören, daß ihre Leuchtorgane an besondere Nerven angeschlossen sind, also willkürlich bald in Kraft gesetzt und bald wieder »abgedreht« werden können, so scheint uns auch Frau Kätzin sehr deutlich etwas derart zur Verfügung zu haben, denn jeder merkt, wie auch ihre Glühäugelchen, wenn sie im Dämmer schleicht, bald aufglänzen, bald wieder verlöschen.

Es ist jetzt etwas über hundert Jahre her, daß Prevost zum erstenmal die damals für die ganze Medizin und Zoologie nicht nur kühne, sondern geradezu ungeheuerliche Behauptung aufstellte, das Leuchten des Katzenauges sei nur eine ganz zufällige Reflexerscheinung für den Beschauer, die durchaus nichts mit eigener Leuchtkraft oder gar Willkür des Tieres selbst zu tun habe. Katzenaugen leuchteten überhaupt niemals im absolut Dunkeln, sondern es bedürfe dazu stets eines (wenn auch ganz schwachen) einfallenden Dämmerlichtes, das dann vom tiefen Grunde des Auges je nach Stellung für den Zuschauer zurückgeworfen (reflektiert) würde.

Noch mehr als drei Jahrzehnte später mußte unser damals größter deutscher Physiolog, Johannes Müller, diese richtige Deutung gegen ernsthafte wissenschaftliche Gegner verteidigen, und es ist amüsant, heute seine eigenen Worte darüber zu hören, die zugleich die Sinnestäuschungen berühren, denen jeder ungeübte Urteiler bei so delikaten Dingen zu unterliegen pflegt.

»Wer«, sagt Müller, »für das Leuchten der Katzenaugen aus Neigung eingenommen, dem empfehlen wir, wie wir getan haben, eine Katze einen absolut dunkeln Raum mit sich zu nehmen und sich vom Gegenteil zu überzeugen, dabei aber die durch eine schnelle Bewegung unserer eigenen Augen und durch Zerrung des Sehnerven entstehende, bloß subjektive Lichtempfindung nicht zu verwechseln. Ein neuerer Versuch, den ich mit einer Katze in einem absolut dunkeln Raum, in einem Keller der hiesigen Anatomie, in Gegenwart mehrerer angestellt, fiel ganz negativ aus. Eine Person hielt die Katze. Diese Person wurde von mir im Dunkeln an einen Ort gestellt, den die anderen Anwesenden nicht kannten, den sie aber wahrnehmen mußten, falls die Katze Licht aus den Augen ausströmte. Alle sahen nichts, bis auf einen, dieser wollte zwei feurige Kreise gesehen haben. Sogleich ließ ich diesen seinen

Arm nach der Gegend ausstrecken, wo er die Kreise gesehen haben wollte. Dann wurde die Tür geöffnet, und nun zeigte sich, daß der Arm nach der entgegengesetzten Seite von derjenigen, wo die Katze gehalten wurde, hinwies, zu nicht geringer Belustigung. Offenbar hatte derjenige, der die zwei feurigen Kreise sah, seine eigene Empfindung gesehen. Bei rascher Wendung der Augen im Dunkeln sieht man wegen Zerrung der Sehnerven sehr leicht zwei feurige Kreise, welche nichts als die gesteigerten Empfindungen der Sehnerven sind.«

Die Sache wurde aber wissenschaftlich erst ganz sicher, als der Nachweis glückte, daß zwar bei Katzen, Eulen und Konsorten das Augeninnere besonders gut reflektierte, tatsächlich aber bei richtiger Einstellung auch bei jedem beliebigen anderen Auge der Erfolg im Sinne der Theorie herausgezaubert werden könne, und zwar schließlich auch beim Menschen selbst. Brücke, einer der genialsten Schüler Müllers, konnte zum erstenmal zeigen, daß das menschliche Auge, wenn man es in dunklem Raum mit einer Blendlaterne bestrahlte und dann einen Beobachter an dieser Lichtquelle vorbei hineinblicken ließ, für diesen Beobachter leuchtete! Und es war eigenartigerweise ein dritter Physiolog ersten Ranges und anderer großer Schiller Johannes Müllers, dessen Auge zum erstenmal zu diesem Experiment benutzt wurde, also zum ertenmal ein Menschenauge mit »Katzenlicht« zeigen sollte: Emil du Bois-Reymond.

Der eigenartige Fund, der jetzt endgültig eine Jahrtausende alte Volksmeinung umwarf, ist damals (auf der Wende zu den fünfziger Jahren) in Fachkreisen besonders noch berühmt geworden, weil sich an ihn unmittelbar einer der größten medizinischen Fortschritte aller Zeiten anschloß: nämlich die Erfindung des sogenannten Augenspiegels durch Helmholtz – dieses wunderbaren Apparates, der es dem Arzt fortan ermöglichte, ein vollkommenes Bild der Netzhaut am lebendigen Auge zu gewinnen. Helmholtz kam einfach darauf, als er seinen Schülern eben jene Brückesche Theorie des menschlichen Augenleuchtens in möglichst anschaulicher Form vortragen wollte: er konstruierte in Zeit von acht Tagen einen kleinen optischen Hilfsapparat dazu, und plötzlich erschien etwas noch viel Bedeutsameres als bloß das Katzenleuchten eines Menschenauges – zum erstenmal hatte, wie er selbst berichtet, ein Mensch die Freude, eine lebendige menschliche Netzhaut mit all ihren verzweigten Blutgefäßen und der Eintrittsstelle des Sehnervs in der eigenen natürlichen Vergrößerung durch ihre zugehörige natürliche Linse klar vor sich liegen zu sehen.

Hier aber sei nun ein kleiner Sprung erlaubt.
Von den Wundern des Katzen- und Menschenauges wenden wir uns zu einem der lieblichsten Schönheitswunder der Natur – einem kleinen Vögelchen von juwelenhafter Herrlichkeit.
Mancher wird es kennen, denn obwohl seine Heimat der ferne Eukalyptuswald Australiens ist, sieht man es doch seit Mitte der achtziger Jahre nicht selten in unseren Liebhaberkäfigen. Ein altes Volksmärchen läßt den lieben Gott, nachdem er alle Tiere hübsch angemalt, den Stieglitz noch aus den letzten übriggebliebenen Farbkleckschen zusammenstoppeln. Nun, in diesem Sinne möchte man vermuten, er habe umgekehrt sein gesamtes Werk mit frischesten Farben bei der Amadine, wie das Vöglein heißt, begonnen, denn mit solcher genialen Pracht und zugleich doch solcher edlen Einfachheit der Pinselführung ist kaum ein zweiter Vogel im großen Erdenatelier bedacht worden. Die schönste Abart der sogenannten Frau-Goulds-Amadine, getauft nach der Gattin des großen Spezialisten der australischen Vogelwelt, Gould. wirkt bei einfachster Gestalt eines kleinen Sperlingsvogels durch die Folge ihrer Farben, die in ungetrübter Schöne wie ein vom Prisma gebrochenes Lichtspektrum über ihren zierlichen Körper gehen. Rücken und Flügel vom durchsichtigsten Grasgrün, das gegen die dunkeln Schwanzspitzen in ein zartes Himmelblau verdämmert; am Halse durch ein ähnliches Blauband und einen schwarzen Samtstrich davon getrennt, eine leuchtend blutrote Kopfkappe, die tief bis über die Wangen herabfällt und prachtvoll gegen das Elfenbeinweiß des Schnabels und die schwarze Kehle steht; wiederum zu diesem Grün und Rot aber die Brust mit einem breiten Felde des unvergleichlichsten Lila, und ganz scharf wieder dagegen abgesetzt, aber herrlich in der Farbenharmonie zugleich einklingend, der Bauch mit dem sattesten Dottergelb.

Seiner engeren Verwandtschaft nach gehört dieses Farbcnwunder zu den sogenannten Webefinken, jener Vogelgruppe, zu der unter anderen auch der berühmte Siedelweber oder Siedelsperling zählt, eines der merkwürdigsten »sozialen Tiere« der Erde. Er lebt nämlich nicht nur gesellig in großen Scharen, die ihre Nester dicht gedrängt in den gleichen Baum bauen, sondern die Schutzdächer dieser Nester werden zu einem gemeinsamen Dach verschmolzen, das, allmählich immer mehr verstärkt, zuletzt wie ein ungeheurer Heuschober in den afrikanischen Buschbäumen hängt und die darunter liegenden, immer wieder neu eingebauten Nesterkolonien gleich einer alten Zyklopenmauer beschirmt, in deren Schutz die Generationen eines Dorfs aufwachsen. Solche Leistung läßt sowohl auf manches Verblüffende auch sonst in den Liebes- und Gesellschaftsleben dieser Vetternschaft der Weber schließen, aber was von den Amadinen gerade hier bekannt geworden, das schießt doch im eigentlichen Sinne »den Vogel ab«.

Schon seit längerer Zeit war es den Anatomen aufgefallen, daß die kleinen, noch nicht flüggen Nestjungen dieser und verwandter Prachtfinken (wie der Liebhaber dieses zumeist farbenschöne Völklein im ganzen zu benennen pflegt) in ihren »Spatzenecken«, wie der Volksmund das wohl bei Menschenkindern bezeichnet, nämlich in den Mund- oder Schnabelwinkeln, beiderseitig gewisse dick vorspringende Kugeln zeigten. Bei den jungen Frau-Goulds-Amadinen saß jederseits genau ein Paar solcher Anhängsel, und jede Kugel war schön blau mit einem dunkeln Ring – eine so auffällige Färbung bei einem solchen Nestling, daß sie klärlich irgend etwas Bedeutsames markieren mußte. Wuchs das Junge sich aus, so verschwand der ganze Spuk wieder vollkommen – es mußte sich also um etwas handeln, das speziell nur die Kinderstube anging.

Nun, in die Kinderstube des Tieres spielt ja so manches für sich hinein. Bald müssen die kleinen Lebensanfänger nach urgegebenem Gesetz in ihr noch einmal Züge der Ahnen wiederholen, sozusagen Großvaters Maske aufsetzen, ehe sie ihr eignes Gesicht endgültig bekommen. Vielfach aber unterliegen sie auch besonderen Anpassungen dort, die nur den Nutzzwecken der Kinderstube selbst dienen, gleichsam Wiegen- und Windelanpassungen darstellen, wenn man es menschlich ausdrücken soll. Sorgsame Beobachtung wies nun nach, daß es sich bei den jungen Amadinen um einen Fall der letzteren Art allein handle, aber um einen ganz unerwarteten.

Wir alle kennen ein Bild aus dem trauten Lebe n der Mutter bei uns.
Es ist tiefe Nacht, alles weit hin still und dunkel. Nur in der Kinderstube dämmert ein blasser Schein. Dort läßt die treue Mutter ein Nachtlichtlein brennen, um sogleich orientiert zu sein, wenn das Kleine etwas braucht. Dunkel, immerzu recht dunkel ist es aber auch in der Kinderstube solchen niedlichen Webervögelchens, – in seinem fast ganz geschlossenen Webernest. Und wenn der alte Vogel durch die kleine Öffnung einfliegt und die hungrigen Kleinen atzen soll, so wäre auch ihm wohl zu gönnen, daß er da drinnen ein Nahtlichtchen finden könnte, das ihm den Weg zu den sperrenden Schnäbelchen wiese. Es ist aber in der Tat dafür gesorgt, daß er es findet!
Sobald er seine Kinderstube besucht, leuchtet es ihm nämlich von da drinnen entgegen wie kleine Lämpchen. Und diese Lämpchen sitzen sogar höchst sinnreich gerade da, wo sie wirklich am besten auf den Weg weisen: nämlich eben in den Schnabelwinkeln der kleinen Schnäbel selbst. Es ist, als trage jede Jungamadine dort einige winzige, aber vollkommen wirksame Glühbirnen angeheftet, deren Glanz das finstere Stübchen illuminiert. Nichts anderes als solche angewachsenen Glühbirnen sind eben die bewußten geheimnisvollen Kugeln mit ihrem Blau – Leuchtorgane der Nestjungen zur Orientierung des fütternden Vogels im finsteren Nest.

Das war nun, als man endlich darauf kam, eine Entdeckung, wie sie die Tierkunde selten erlebt hat. Leuchtende Vögel, und zwar zu so sinnreichem Zweck!
Auch hier mußte die Frage entstehen: konnte es ein echtes Leuchten sein wie bei den Johanniswürmchen oder Tiefseefischen? Prinzipiell hätte schließlich nichts im Wege gestanden, daß es selbst das war, die Nestjungen hätten dann in ihren Glühbirnen eine echte oxydierende Leuchtsubstanz produzieren müssen. Chun, der jüngst verstorbene treffliche Leipziger Zoologe, hat nach sorgfältigster Analyse indessen anders entschieden.

Amadinens blaue Leuchtkugeln leuchten tatsächlich nach der Methode des Katzenauges. Ohne selber Augen zu sein, wirken sie doch als raffinierter Reflektierapparat. Sie fangen, konzentrieren und strahlen hell zurück die schwachen Stäubchen Dämmerlicht der nicht absolut schwarzen Neststube, genau wie das Katzenauge aus der Dämmernacht, die uns als vollkommenes Dunkel erscheint, doch noch gleichsam einen roten Funken sammelt. Das Wunderbarste aber ist, daß auch dieses reflektierte Licht hier in den Dienst eines bestimmten Nutzzweckes tritt. Und daß es ausdrücklich in einem besonderen Leuchtorgan nur für diesen Zweck erzeugt wird, anstatt nebenbei zu entstehen wie im funkelnden Katzenauge!

Das macht Amadinens illuminierte Kinderstube zum Exempel einer Lebensleistung, die bisher einzig in ihrer Art ist und mit der gleichsam ein neues Kapitel der Naturgeschichte beginnt.